Einsamkeit als Gesundheitsproblem

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Einsamkeit ist das bedrückende Gefühl, das bei einem Mangel an befriedigenden sozialen Beziehungen aufkommt. Mit ihr verbunden ist eine Verminderung der organischen und psychischen Gesundheit und mit einem ungesunden Lebensstil. Einsamkeit als Gesundheitsproblem wird zunehmend gesellschaftlich relevant. (1)PLoS One. 2017 Jul 17;12(7):e0181442. doi: 10.1371/journal.pone.0181442.

Folgen

Veränderung der Kognition, Risiko einer Demenz

Inzwischen ist gut belegt, dass die subjektive Wahrnehmung einer sozialen Isolation zu einer Verschlechterung der kognitiven Gesamtleistung, sogar zu einem kognitiven Verfall führt. Folge kann eine vorzeitige Demenz sein, deren Risiko laut Studien an älteren Menschen deutlich steigt (2)Aging Ment Health. 2017 Jan 17:1-7. doi: 10.1080/13607863.2016.1277976. Speziell das Gefühl der Einsamkeit ist dafür verantwortlich, nicht eine soziale Isolierung alleine. (3)J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2014 Feb;85(2):135-42. doi: 10.1136/jnnp-2012-302755

Die Wahrnehmung und Ahnung von externen Bedrohungen steigen, die Objektivität einer Beurteilung von Situationen wird durch Voreingenommenheit verdrängt. Auch wenn Angst vor äußeren Gefahren verstärkt empfunden wird, nehmen paradoxerweise selbstzerstörerische Tendenzen überhand. (4)Trends Cogn Sci. 2009 Oct;13(10):447-54. doi: 10.1016/j.tics.2009.06.005

Depressionen

Wer dazu neigt, sich einsam zu fühlen, neigt auch zu Depressionen. (5)Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol. 2016 Mar;51(3):339-48. doi: 10.1007/s00127-016-1178-7. Über Depression werden kardiovaskuläre Erkrankungen erklärt, die insbesondere bei Frauen mit Einsamkeit assoziiert sind. Einsamkeit selbst ist offenbar nicht direkt assoziiert. (6)Int J Geriatr Psychiatry. 2018 Jan;33(1):e65-e72. doi: 10.1002/gps.4716

Körperliche Widerstandskraft

Das Empfinden, einsam zu sein, hemmt nicht nur die kognitive Leistungsfähigkeit, sondern auch die körperliche Widerstandskraft. Im Fall einer Krankheit lässt sich die Heilung durch Reduktion des Einsamkeitsempfindens fördern. (7)J Aging Health. 2006 Jun;18(3):359-84 (8)Front Psychol. 2017 Nov 14;8:2003. doi: 10.3389/fpsyg.2017.02003. eCollection 2017.

Kardiovaskuläre Ereignisse sind mit dem Empfinden von Vereinsamung assoziiert. Dies könnte mit einer Aktivierung des Sympathicus und der homonellen Achse zwischen Hypothalamus, Hypophyse und Nebenniere zusammenhängen. Allerdings kommt eine Studie zum Schluss, dass die mit Einsamkeit assoziierte Depression die kardiovaskulären Ereignisse bedingt (s. o.).

Erhöhte Mortalität

Das Gefühl, einsam zu sein, ist mit einer erhöhten Mortalität assoziiert. Auch hierbei ist wiederum nicht eine soziale Isolierung alleine ausschlaggebend. (9)Psychol Med. 2012 Apr;42(4):843-53. doi: 10.1017/S0033291711001772. Eine Studie assoziiert eine erhöhte Mortalität mit dem Alleineleben. In ihr gaben 13,8% von 1535 Teilnehmern häufige Gefühle von Einsamkeit an; ihr mittleres Alter war 76,5 Jahre. Davon waren 82,7% Frauen. In der mittleren Beobachtungszeit von 22 Jahren gab es 86,6% (3116) Todesfälle;  das Risiko war bei allein Lebenden um 1,14% erhöht, bei denen, die sich einsam fühlten, um 1,2%. Die Assoziationen blieben bestehen nach Berücksichtigung des Gesundheitsstatus der Betroffenen. (10)Psychosom Med. 2016 Oct;78(8):904-909 In einer Metaanalyse von Studien wurde eine Assoziation von Mortalität und soziale Isolation – Einsamkeit – Alleinleben von 1,29 – 1,26 – 1,32 gefunden. (11)Perspect Psychol Sci. 2015 Mar;10(2):227-37. doi: 10.1177/1745691614568352.

Einflussfaktoren

Die Schwelle, ab der ein Einsamkeitsgefühl aufkommt, ist sehr subjektiv und variiert von Person zu Person. Empfundene Isolation ist mit einer veränderten sozialen Interaktion verbunden. Dabei ist vor allem die Qualität der Interaktionen betroffen, weniger die Häufigkeit (Quantität).

Das Einsamkeitsempfinden hängt von vielen Faktoren ab. Einflussfaktoren sind beispielsweise Erfahrungen in der Kindheit, kulturelle Normen, soziale Bedürfnisse, körperliche Behinderungen, Erwartungen und Wunschvorstellungen. (12)J Gerontol B Psychol Sci Soc Sci. 2008 Nov;63(6):S375-84.

Soziale Isolierung braucht nicht immer vom Gefühl begleitet zu sein, einsam zu sein. Die Bereitschaft, sich einsam zu fühlen, ist von der psychischen Stabilität (Selbstvertrauen) abhängig, die vielfache Wurzeln hat. Sie ist offenbar auch genetisch mitbestimmt ist. (13)Behav Genet. 2005 Nov;35(6):745-52 (14)Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol. 2016 Mar;51(3):339-48. doi: 10.1007/s00127-016-1178-7.

Evolutionärer Aspekt

Der hohe Wert einer sozialen Kommunikation wird evolutionär begründet: Sozial eingebundene Personen sind besser geschützt und profitieren von gemeinschaftlichen Ressourcen. Soziale Isolierung bedeutet dagegen Unsicherheit und Risiko für das Überleben. (15)PLoS One. 2017 May 18;12(5):e0177443. doi: 10.1371/journal.pone.0177443. (16)Ann Behav Med. 2010 Oct;40(2):218-27. doi: 10.1007/s12160-010-9210-8.

Die hohen sozial kommunikativen Fähigkeiten, die sich beim Menschen entwickelt haben, und die von ihr abhängige hohe Kooperativität werden als wesentliche treibende Faktoren für die kulturelle Evolution betrachtet. Sozialer Zusammenhalt ist daher tief verwurzelt, ebenso daher das Gefühl der Vereinsamung, wenn befriedigende Sozialkontakte abbrechen. (17)Behav Processes. 2017 Dec 6. pii: S0376-6357(17)30327-3. doi: 10.1016/j.beproc.2017.11.015. Sozialverhalten hat offenbar genetische Grundlagen, die sich in der Evolution herausgebildet haben. (18)Front Neurosci. 2017 Oct 4;11:537. doi: 10.3389/fnins.2017.00537

Einsamkeit, soziale Kompetenz und Gefährdungsempfinden

Untersuchungen zeigen, dass Einsamkeit zu Defiziten in sozialen Fähigkeiten führt. Die Sensibilität für nonverbale Kommunikation nimmt ab, während die verbale Kommunikation kompetent bleibt. (19)Curr Biol. 2012 Oct 23;22(20):1975-9. doi: 10.1016/j.cub.2012.08.045.

Untersuchungen zeigen, dass einsame Personen zwar Aufgaben bezüglich der Erkennung von Emotionen problemlos lösen können, aber häufiger als üblich während eines Gesprächs Blickkontakt zu ihrem Gegenüber suchten. (20)Br J Psychol. 2016 Feb;107(1):135-53. doi: 10.1111/bjop.12131.

Weitere Untersuchungen zeigen, dass sich einsam fühlende Heranwachsende empfindlich auf negative Gesichtsausdrücke ihrer Gesprächspartner reagieren. (21)Cogn Emot. 2017 Feb;31(2):377-383. Epub 2015 Oct 13. Es besteht eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber negativen Signalen im sozialen Umfeld. (22)PLoS One. 2015 Apr 27;10(4):e0125141. doi: 10.1371/journal.pone.0125141. Das gilt insbesondere auch für Kinder. (23)J Abnorm Child Psychol. 2013 Feb;41(2):325-38. doi: 10.1007/s10802-012-9676-x. Diese übereinstimmenden Befunde lassen sich mit einem durch Einsamkeit verstärkten Empfinden einer erhöhten Gefährdung in Zusammenhang bringen.

Veränderungen im Gehirn, einzelne Befunde

Das Gefühl von Einsamkeit und Verlassensein ist assoziiert mit verschiedenen Veränderungen im Gehirn.

Veränderte Netzwerke im Gehirn

fMRI-Untersuchungen belegen, dass Einsamkeit assoziiert ist mit Veränderungen von Netzwerken im Gehirn. Die Interaktionen zwischen dem dorsalen und ventralen Aufmerksamkeitsnetzwerk sowie zwischen dem gefühlsbezogenen und dem sehbezogenen Netzwerk umso schwächer ausgeprägt sind, je stärker ein Einsamkeitsgefühl vorherrscht. (24)PLoS One. 2017 May 18;12(5):e0177443. doi: 10.1371/journal.pone.0177443

Assoziation von Einsamkeit und Depression

Untersuchungen an nicht dementen älteren Menschen sowohl bei Depression als auch bei Einsamkeit zeigen Veränderungen in der Konnektivität (funktionelle Verbindungen) zwischen verschiedenen Hirnarealen. Die bei Depression einbezogenen Hirnareale der frontalen und temporalen Regionen sind involviert in kognitive Kontrolle, affektive Regulationen und das mit dem Selbst assoziierten „default mode network“. Die bei Einsamkeit einbezogenen Hirnareale betreffen andere Regionen, nämlich die bilateralen Sprachgyri, die für ihre Bedeutung für soziale Interaktionen bekannt sind. Auch wenn Einsamkeit und Depression statistisch assoziiert besteht, so kann derzeit im Gehirn noch keine Verbindung zwischen beiden gefunden werden. Wie beide Empfindungen zusammenhängen, ist ungeklärt. (25)Front Aging Neurosci. 2016 Jan 12;7:251. doi: 10.3389/fnagi.2015.00251.

Hirnorganische Veränderungen

Einsamkeit bei jungen Erwachsenen ist assoziiert mit einer Verminderung der weißen Substanz (Leitungsbahnen) vor allem in Regionen, die mit der Selbstbeurteilung, mit sozialen Fähigkeiten und mit Empathie verbunden sind. (26)Sci Rep. 2015 Nov 20;5:17001. doi: 10.1038/srep17001.

Funktionalität des Gehirns bei Bedrohungsempfinden

Bilder von Bedrohungssituationen wirken laut einer Studie auf einsame Personen intensiver; sie werden messbar rascher verarbeitet als von Kontrollpersonen (116 ms vs. 252 ms). Das wird mit ihrer evolutionären Bedeutung in Zusammenhang gebracht (s. o.): Denn Bedrohungen erfordern eine möglichst rasche Reaktion, und einsame Individuen fühlen sich stärker bedroht. (27)Cogn Neurosci. 2016 Jan-Oct;7(1-4):138-59. doi: 10.1080/17588928.2015.1070136.

Gefährdungsfaktoren

In einer Untersuchung wurden Variable gesucht, die bei älteren Menschen auf eine Einsamkeitsgefährdung hindeuten. Assoziationen wurde gefunden für (28)Int Psychogeriatr. 2016 Apr;28(4):557-76. doi: 10.1017/S1041610215001532.: weibliches Geschlecht, nicht verheirateter Status, höheres Alter, niedriges Einkommen, niedriges Bildungsniveau, alleinlebendes Leben, nur oberflächliche soziale Beziehungen, Gesundheitsprobleme, Behinderungen (Hören, Sehen, Sprechen, Beweglichkeit), psychische Probleme, geringes Selbstvertrauen, negativer Blick auf das bisherige Leben, kognitive Defizite (die in eine Demenz führen können). Eine Rolle spielen auch Scham, Ängste verschiedener Art und ungelöste Beziehungsprobleme. Eine geringe Bereitschaft zu Vertrauen ist ebenfalls ein Risikofaktor. (29)BMC Public Health. 2016 Jul 11;16:542. doi: 10.1186/s12889-016-3248-x.

Vorbeugung und Gegenmaßnahmen

Hauptsächlich zwei Methoden werden als wirksam angesehen, um ältere Menschen aus ihrem Empfinden einsam zu sein, herauszuhelfen (30)BMJ Open. 2017 May 17;7(5):e013778. doi: 10.1136/bmjopen-2016-013778 (31)BMC Public Health. 2011 Aug 15;11:647. doi: 10.1186/1471-2458-11-647:

  • gruppenbasierte Interventionen (z. B. Gesprächsgruppen, Hilfegruppen z. B. zum Gedächtnistraining oder gemeinsamen Sport etc.)
  • Einzelinterventionen (z. B. Videokommunikation über Computer, Vorleser, Haustier, freiwillige Besuche), E-Interventionen (Telemedizin) werden gestestet. (32)J Telemed Telecare. 2017 Dec;23(10):817-827. doi: 10.1177/1357633X17733773

Die gruppenbasierten Interventionen waren bei mindestens einer der nachverfolgten Ziele (soziale, mentale und körperliche Verbesserung) den Eins-zu-Eins-Interventionen deutlich überlegen.


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Verweise

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