Thalassämie

Artikel aktualisiert am 23. April 2018

Die Thalassämie gehört zu den häufigsten genetisch bedingten Erkrankungen. Sie ist bei Menschen aus dem Mittelmeerraum oder bei solchen, deren Vorfahren aus diesem Raum stammen, eine häufig anzutreffende genetisch bedingte Form der Blutarmut (Mittelmeeranämie). Es handelt sich dabei um eine Fehlbildung des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin, bei der die Bildung des Globinteils gestört ist (siehe auch hier). Wie die Sichelzellanämie scheint die Thalassämie einen gewissen evolutionären Vorteil in Malariagebieten gebracht und sich daher dort ausgebreitet zu haben [1].

Es lassen sich zwei große Gruppen der Thalassämie unterscheiden:

  • die Alpha-Thalassämie (α-Thalassämie) mit Mutationen auf Chromosom 16 und
  • die Beta-Thalassämie (β-Thalassämie) mit Mutationen auf Chromosom 11.

Für jede der Formen ist inzwischen eine Vielzahl an Mutationen bekannt; die meisten von ihnen werden rezessiv vererbt. Fast alle führen zu einer Bildungsstörung des Hämoglobins mit ausgeprägter Blutarmut (Anämie).


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Alpha-Thalassämie


Die Alpha-Thalassämie ist selten. Sie ist bei Homozygotie und Mutation aller 4 Alpha-Gene mit dem Leben nicht vereinbar; es kommt zum Fruchttod. Ist jedoch mindestens eines der Gene noch intakt, wird genügend funktionsfähiges Hämoglobin gebildet, was je nach Ausprägung zur HbH-Krankheit, einer leichten Form der Thalassämie, führen kann. Wenn 2 oder 3 Gene noch funktionsfähig sind, ist nicht mit einer nennenswerten Symptomatik zu rechnen.

Beta-Thalassämie

Die Beta-Thalassämie ist die häufigste Form einer Thalassämie und tritt in einer heterozytgoten Minor- und einer homozygoten Major-Form auf.

Thalassämia minor

Diese Form der Thalassämie ist symptomlos oder symptomarm. Sie ist durch Heterozygotie eines Beta-Thalassämie-Gens bedingt und ist auf eine Fehlproduktion einer ß-Globinkette zurückzuführen. Gelegentlich ist eine geringfügige Milzvergrößerung (Splenomegalie) feststellbar. Wenn beide Eltern heterozygot sind, kann es bei Nachkommen zu einer Thalassämia major kommen, der schweren Form der Thalassämie.

Thalassämia major

Diese Form ist durch Homozygotie der Beta-Thalassämie-Gene verursacht. Die Beta-Globinketten des Hämoglobins können nicht mehr gebildet werden und es entsteht eine ausgeprägte Anämie, die durch Targetzellen (Schießscheibenerythrozyten) im Differenzialblutbild auffällt. Das Knochenmark bildet kompensatorisch vermehrte, jedoch durch fehlerhafte Hämoglobinsynthese defekte Erythrozyten, die vom retikuloendothelialen System (RES), insbesondere von der Milz, rasch wieder entsorgt werden.

Symptome und Komplikationen

Durch ständige Entsorgung pathologischer Erythrozyten und von Erythrozyten aus Bluttransfusionen kommt es zu einer erheblichen Hyperplasie des RES und einer Vergrößerung der Milz Splenomegalie. Dadurch steigt die Gefahr einer Milzruptur. Früher wurde daher häufig eine Splenektomie (operative Milzentfernung) durchgeführt.

Makrophagen des RES setzen aus dem abgebauten Hämoglobin Eisen frei, was zu einer ausgeprägten Hämosiderose der Organe führt (siehe auch unter Eisenstoffwechsel). Es kommt zu einer erworbenen Eisenüberladung des Körpers, die der Eisenüberladung einer Hämochromatose gleicht und in der Leber zu einer Zirrhose führen kann. Die Hämosiderose in der Herzmuskulatur führt zu einer Herzinsuffizienz, diejenige im Pankreas kann zur Entstehung eines Diabetes mellitus durch Zerstörung der Inselzellen führen.

Bei der Thalassämie kommt es zu einer sekundären Osteoporose und zu Gonadenstörungen.

Diagnostik

Eine schwere, hypochrome mikrozytäre und ständig transfusionsbedürftige Anämie bei jungen Menschen weist auf die Diagnose einer Thalassämia major, insbesondere wenn auch andere Familienmitglieder unter einer Anämie leiden. Die erythropoetische (Erythrozyten bildende) Reihe im Knochenmark (Knochenmarkpunktion) ist hyperaktiv.

Die Diagnose kann durch molekulargenetische Analyse der bekannten Hämoglobin-Gene untermauert werden. Eine solche Analyse kann auch sinnvoll sein, wenn bei klinisch Gesunden mit familiärer Belastung Kinderwunsch besteht.

Zur Diagnostik gehören der Nachweis von eventuellen Folgen einer Eisenüberladung (siehe hier) und die Kontrolle der Eisenparameter, insbesondere des Ferritins.

Zu den Laborwerten, die zu kontrollieren sind, gehören Parameter der Hämolyse (Haptoglobin, freies Hämoglobin), da sie die Anämie verstärken kann und das thromboembolische Risiko erhöht.

Therapie

Thalassämia minor

Sie braucht in der Regel nicht behandelt zu werden.

Die Thalassämia major

Sie ist wegen der Blutarmut in aller Regel symptomatisch. Die Behandlungsindikation hängt von der Ausprägung der Anämie ab.

Bluttransfusionen: Um den Prozess einer Eisenüberladung nicht unnötig zu beschleunigen, werden Transfusionen meist zurückhaltend in größeren Abständen durchgeführt, wenn die Anämie zu einer deutlichen Verschlechterung der Lebensqualität bzw. zu einer zusätzlichen gesundheitlichen Gefährdung führt. Bei den im Laufe des Lebens notwendigen multiplen Transfusionen steigt das kumulative Risiko einer Infektionsübertragung gering an; in Indien und Pakistan beispielsweise scheint das Hauptproblem in der nicht ausschaltbaren Infektion mit Hepatitisviren zu liegen, während HIV keine Rolle spielt [2] (1)Asian J Transfus Sci. 2012 Jul;6(2):151-4.
Die bei einer familiären Hämochromatose indizierten Aderlässe sind bei einer Thalassämie kontraindiziert (verboten), da sie die sowieso kritische Anämie lebensbedrohlich verstärken würde. Daher kommen nur Methoden der Bildung von Eisenkomplexen (z. B. mit Chelatbildnern, z. B. Desferrioxamin-Infusionen (Desferal) ), die über die Nieren oder die Galle ausgeschieden werden können, in Betracht.

Hämatopoetische Stammzelltransplantation: Heute wird bei geeigneten Patienten mit einer Thalassämie und schwerer, ständig transfusionspflichtiger Anämie meist schon im frühen Kindesalter (mittleres Alter in Studien meist 6-7 Jahre) eine hämatopoetische Stammzelltransplantation des Knochenmarks durchgeführt. Sie führt bei Erfolg zur klinischen Heilung; die Betroffenen bleiben jedoch Genüberträger, was bei späterem Kinderwunsch berücksichtigt werden muss. Eine Stammzelltransplantation birgt jedoch einige Risiken; heute kann ein 3-Jahresüberleben von über 90% erreicht werden [3]. In einer französischen Langzeitstudie wurde ein 15-Jahresüberleben von 87% und ein Thalassämie-freies Überleben von 69% festgestellt (2)Galambrun C Biol Blood Marrow Transplant. 2012 Aug 11. [Epub ahead of print].

Gentherapie: Eine neue und Erfolg versprechende Therapie ist die Einbringung von Zellen mit dem gesunden Gen für den Globinanteil des Hämoglobins. Nach Transfusion speziell vorbereiteter CD34+-Zellen (durch einen viralen Vektor mit dem gesunden Gen beladen), so verschwindet oder reduzieren sich die fehlerhafte Blutnachbildung, die krankheitsbedingte Hämolyse und die regelmäßige Transfusionspflichtigkeit. Nach im Mittel etwas über 2 Jahren benötigten 12 von 13 so behandelter Patienten keine Blutkonserven mehr! (3)N Engl J Med 2018; 378:1479-1493 DOI: 10.1056/NEJMoa1705342

Verweise

Literatur

  1. ? Proc Assoc Am Physicians. 1999 Jul-Aug;111(4):278-82
  2. ? J Coll Physicians Surg Pak. 2012 Sep;22(9):610-1
  3. ? Li C et al. Blood. 2012 Sep 11. [Epub ahead of print]

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