Akutes Nierenversagen

Artikel aktualisiert am 24. Juli 2022

Akutes Nierenversagen (ANV, akute Niereninsuffizienz, akute Nierenschädigung) bedeutet rasch auftretende Funktionsstörung der Nieren mit Anstieg der Nierenwerte im Blut. Der rasche Abfall der Nierenleistung betrifft vor allem die Ausscheidung von Stoffwechselendprodukten und Giftstoffenden sog. nierenpflichtigen Substanzen. Im Gegensatz zur chronischen Niereninsuffizienz ist vielfach eine Erholung der Nierenfunktion möglich; allerdings behalten 40-50% der Patienten nach Überwindung der akuten Phase eine Nierenfunktionseinschränkung zurück. Meist ist die Abnahme der Ausscheidung nierenpflichtiger Substanzen verbunden mit einer Abnahme der Flüssigkeitsmenge, also oft leicht erkennbar an einer Abnahme der Urinmenge. Beim „polyurischen Nierenversagen“ jedoch kommt es zu einer „Harnflut“, wobei jedoch der Urin kaum nierenpflichtige Ausscheidungsprodukte enthält und damit „inkompetent“ ist.


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Definition


Nach der Definition des „Akute Kidney Injury Network“ (AKIN) liegt ein akutes Nierenversagen vor, wenn die Nierenfunktion innerhalb sehr kurzer Zeit (bis 48 Stunden) abnimmt, gemessen an

  • einem absoluten Anstieg des Serum-Kreatinins von > 0,3 mg/dl (? 26,4 µmol/l),
  • einem prozentualen Anstieg des Serum-Kreatinins von > 50 % (d. h. das 1,5-fache des Ausgangswertes)
  • oder an einer Verminderung der Urin-Ausscheidung auf < 0,5 ml/kg/h über mehr als 6 Stunden (gemessen am besten über Dauerkatheter).

Die verschiedenen Schweregrade des Nierenversagens lassen sich nach den AKIN-Kriterien (Kriterien des „Akute Kidney Injury Network“) einteilen.

Stadium Kreatinin-Anstieg Urinmenge
1 1,5- bis 2-fach <0,5 ml/kg/h für 6 h
2 2 – 3-fach <0,5 ml/kg/h für 12 h
3 > 3-fach <0,3 ml/kg/h für 24 h oder Anurie über 12 h

Der Begriff „akute Nierenschädigung“ (acute kidney injury) berücksichtigt die deutliche Verschlechterung der Prognose quo ad vitam bereits bei einer akuten, noch geringen Verschlechterung der Nierenfunktion, noch weit vor ihrem vollständigen Versagen.

Diagnostik des akuten Nierenversagens

Um eine akute Nierenschädigung festzustellen, kann die Bestimmung von Urinmenge und Serum-Kreatinin dienen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass ein hypovolämisches prärenales Nierenversagen meist keine bleibende Nierenschädigung bewirkt. Daher wird anderen Markern mehr Gewicht beigemessen:

  • Interleukin-18 (IL-18, ein proinflammatorisches Interleukin),
  • Neutrophiles Gelatinase-assoziiertes Lipocalin (NGAL),
  • Kidney-Injury-Molecule 1 (KIM-1),
  • Cystatin C.

Die Marker IL-18, NGAL und KIM-1 steigen bei einer Nierenschädigung an, geben jedoch keine Aussage über die Nierenfunktion; dies ist die Domaine des Cystatin C, es gibt einen guten Hinweis auf die glomeruläre Filtrationsrate (GFR).

Die Kreatinin-Clearance (meist als 2-Stunden- oder 24-Stunden-Clearance gemessen) gibt einen Anhalt über die aktuelle Nierenleistung. Beim akuten Nierenversagen sinkt sie sehr rasch, so dass sie nur im Anfangs- und im Erholungsstadium klinisch von Bedeutung ist. In diesen Stadien gibt alleine das Serum-Kreatinin meist bereits gute Auskunft über die Entwicklung.

Die Diagnostik beinhaltet nicht nur den Nachweis eines akuten Nierenversagens und seine Stadieneinteilung, sondern auch seine Ursache.

Differenziert werden prärenale, postrenale, renale Ursachen. Eine Rolle spielen beispielsweise

Eine Nierenpunktion ist beim akuten Nierenversagen oft unerlässlich, speziell wenn der Verdacht auf eine rapid progressive Glomerulonephritis besteht. Denn in diesem Fall ist möglichst rasch mit einer immunsuppressiven Therapie zu beginnen.

Ursachen, Risikofaktoren

Bestimmte Formen einer Glomerulonephritis (rapid progressive Verlaufsformen, oft immunologische bzw. autoimmunologische Ätiopathogenese) oder einer interstitiellen Nephritis können zu einem akuten Nierenversagen führen.

Zum akuten Nierenversagen kann es auch im Rahmen folgender Bedingungen kommen (häufig vorkommende Beispiele):

Bei fortgeschrittenem Alter, Diabetes mellitus, einer hypertonen Nierenschädigung oder einer Nierenschädigung im Rahmen einer Paraproteinämie (bei Plasmozytom) kann eine akute Nierenschädigung besonders rasch auftreten, wenn zusätzlich eine Schädigung z. B. durch intravenöse Röntgen-Kontrastmittel oder Medikamente (z. B. NSAR, Allopurinol, Platin-Derivate) erfolgt.

Besondere Aspekte des akuten Nierenversagens

Akutes prärenales Nierenversagen

Bei Hypovolämie oder niedrigem Blutdruck (z. B. im Rahmen einer schweren Herzinsuffizienz) kommt es zu einem in der Regel reversiblen Nierenversagen. Therapeutisch sollte das Volumen ZVD-gesteuert (Druckmessung vor dem Herzen durch einen zentralen Venenkatheter) angehoben werden. Ziel ist ein zentraler Venendruck (ZVD) von 8-12 mm Hg. Der Volumenersatz sollte eher mit einer Ringer-Lösung als mit Kolloiden erfolgen, da diese in größeren Mengen die Nieren schädigen können. Bei einer Herzinsuffizienz ist eine Stärkung der Herzleistung der erste Angriffspunkt; eine Volumenanhebung wirkt kontraproduktiv, da sie dem sowieso schwachen Herzen eine zusätzliche Arbeit aufbürdet.

Akutes Nierenversagen bei Sepsis

Vorbeugend muss darauf geachtet werden, dass die Kreislaufverhältnisse stabilisiert werden. Anzustreben ist ein zentralvenöser Druck (ZVD) von 8-12 cm H2O, ein mittlerer arterieller Druck von über 65 mm Hg, ein Hämatokrit von > 30% und eine zentralvenöse O2-Sättigung von > 70% (Internist 2006; 47: 356-368). Eine frühzeitige Antibiose senkt das ANV-Risiko. Der Blutdruck lässt sich bei einer bakteriellen Sepsis manchmal durch Volumengabe allein nicht ausreichend anheben; dann kann Noradrenalin zur Tonisierung der peripheren Gefäße dienen.

Akutes Nierenversagen nach Röntgenkontrastmitteln

Intravenös applizierte Röntgenkontrastmittel können die Nieren schädigen und zu einer Abnahme der Nieren-Clearance und einem Anstieg des Kreatinins führen. Dieses Risiko kann durch Applikation von 0,9% NaCl-Lösung vor und nach der KM-Injektion verringert werden. Eine Bikarbonat-haltige Lösung soll etwas überlegen sein: Acetylcystein (ACC) scheint demgegenüber keinen Vorteil zu bringen. Vor der Applikation von Röntgenkontrastmitteln sollten die Medikation auf nephrotoxische Medikamente (s.u.) und andere Risikofaktoren für ein akutes Nierenversagen überprüft werden.

Akutes Nierenversagen durch Medikamente

Nephrotoxische Medikamente sind vor allem bestimmte Antibiotika und Antirheumatika. Daneben kommen aber auch eine Reihe anderer Medikamente in Betracht. Im Folgenden wird eine Auswahl besprochen:

  • Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) können die Nierenfunktion verschlechtern, insbesondere wenn sie in Kombination mit Schleifendiuretika verabreicht werden.
  • Unter den Antibiotika sind es vor allem die Aminoglycoside wie Streptomycin oder Vancomycin, die nephrotoxisch wirken.
  • Zytostatika können erhebliche Nephrotoxizität aufweisen. Dies gilt speziell für Platin-Derivate (wie Cisplatin), Iphosphamid, weniger auch für Methotrexat.
  • Allopurinol, das den Harnsäurespiegel senkt, kann nephrotoxisch wirken und zu einem Kreatinin-Anstieg führen. Allerdings können auch steigende Harnsäurespiegel die Nierenfunktion beeinträchtigen, was bei einem Fortbestand der Einschränkung der Nierenfunktion nach Absetzen von Allopurinol zu berücksichtigen ist.

Akutes Nierenversagen durch Hämoglobin und Myoglobin

Durch eine ausgeprägte Hämolyse mit Freisetzung von Hämoglobin sowie durch eine Zersetzung von Muskulatur z. B. durch Quetschung mit Freisetzung von Myoglobin kann es zu einem akuten Nierenversagen kommen. Sowohl Hämoglobin als auch Myoglobin können bei pH-Werten unter 6,5 in der Niere ausfallen und die Tubuli verstopfen. Eine Anhebung des Urin-pH-Werts auf 7 und darüber soll dies verhindern. Ansonsten ist eine hohe Diurese anzustreben (Volumensubstitution). Hämoglobin wirkt zudem gefäßkonstringierend, so dass der glomeruläre Blutfluss beeinträchtigt wird. Es kommt zum hämolytisch-urämischen Syndrom.

Akutes Nierenversagen durch Harnsäure

Harnsäure fällt bei pH-Werten unter 6,5 leicht aus. Bei Alkalisierung des Urins (durch z. B. Citrat) wird die Kristallisation verhindert.

Akutes Nierenversagen durch Hyperkalzämie

Bei metastasierenden Tumoren wie auch beim primären Hyperparathyreoidismus kann eine schwere Hyperkalzämie entstehen, die ein Risiko für die Entwicklung eines akuten Nierenversagens darstellt. Die Behandlung berücksichtigt die Genese. Bisphosphonate sind mit Vorsicht zu verwenden, da sie selbst eine Verschlechterung der Nierenfunktion hervorrufen können.

Akutes Nierenversagen bei postrenalem Abflusshindernis

Zur Behandlung muss die Diagnose mit Höhenangabe des Abflusshindernis sicher festgestellt werden. Bei einem akuten Nierenversagen empfiehlt es sich, zunächst solch einen Nierenstau sonographisch auszuschließen (das gesamte Nierenbecken ist erweitert und der Ureterabgang ebenfalls). Liegt das Abflusshindernis in der Prostata, so ist die Blase stark gefüllt (Blasenhochstand), und der Harnstau betrifft beide Nieren. Betrifft der Harnstau nur eine Niere, so liegt das Abflusshindernis im Bereich des Ureters. Beim Morbus Ormond können beide Nieren gestaut sein, ohne dass ein Blasenhochstand vorliegt. Eine rasche Entlastung durch Katheterisierung, Fistelung oder Einlage einer Ureterschiene hilft, Nierenfunktion zu retten.

Akutes Nierenversagen bei akuter Nephritis

Die rapid progressive Glomerulonephritis, die IgA-Nephritis und die interstitielle Nephritis können zu einer starken Verschlechterung der Nierenfunktion führen. Die Diagnose muss rasch gestellt werden, insbesondere, wenn eine rapid progressive Glomerulonephritis erwogen wird. Zur Diagnostik dienen die Ultraschalluntersuchung (die bei der Glomerulonephritis ein typisches Bild mit eher verbreitertem Parenchym zeigt), der Urinbefund (z. B. Erythrozyturie? Erythrozytenzylinder? Stechapfelformen?, Leukozytenzylinder? Eiweißauscheidung quantitativ? Große Proteinurie?) und bei Unklarheiten oder Verdacht auf eine rapid progressive Glomerulonephritis auch eine Nierenbiopsie. (Mehr dazu siehe siehe hier).

Therapie des akuten Nierenversagens

Die Therapie richtet sich nach der Ursache (s.o.). Bei Anstieg des Kreatinins über 5-7 mg/dl, des Harnstoffs über 100 mg/dl, schwerer Azidose, starker Hyperkaliämie, starker Überwässerung oder urämischen Symptomen kommen Nierenersatzverfahren, wie die Hämodialyse und die Hämofiltration, in Betracht.

  • Eine „Dialyse“ entgiftet das Blut durch Austausch kleiner Moleküle durch eine Dialysemembran mit einer Flüssigkeit, die die Moleküle aufnimmt (Diffusion entlang eines Konzentrationsgradienten ins Dialysat). Meist wird eine intermittierende, auf Intensivstationen oft auch eine kontinuierliche Dialyse durchgeführt. Besonders Kreislauf-schonend und dennoch effektiv ist eine lang dauernde, langsame Dialyse über bis zu 18 Stunden.
  • Eine „Hämofiltration“ entgiftet das Blut durch Abpressen von Flüssigkeit aus dem Blut durch eine Membran. Die Porengröße bestimmt die Grenzgröße der filtrierten Moleküle.

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Verweise

Patienteninfos

 


Autor der Seite ist Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (siehe Impressum).