Hilfsprojekt in einem Flüchtlingslager in Jordanien

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Bericht über einen humanitären Einsatz in einem Flüchtlingslager in Jordanien 2016 von Birgit Schönharting

Reise nach Ar-Ramtha / Zataari

(Zurück zur Einleitung: Flüchtlingslager in Jordanien – eine Aufgabe)

Anreise: Drei Tage sind noch nicht einmal vorbei. Aber ich habe bereits in meinem Kopf gefühlte 300 Eindrücke … Ich versuche mal ein bisschen von den ersten Eindrücken in Jordanien loszuwerden.

UNHCR-Flüchtlingslager Zaatari

Flug ohne Probleme über Paris, superschöne Alpenwelt (von oben alles so friedlich!) dann übers Mittelmeer (wirklich alles so friedlich?? Wie beklemmend, wenn das unglaubliche Blau da unten beim Überfliegen wohl gleichzeitig gerade auch für manche in irgendwelchen Booten den Tod oder zumindest Angst davor bedeutet). Anflug über Lichtermeer nachts am modernen Flughafen Amman, Formalitäten ohne Probleme. Schönes Gefühl, wenn man das Zeichen der Ärzte-Hilfsorganisation erspäht, so ganz allein in der Fremde. Ein Fahrer hat mich abgeholt.

Spätestens ab jetzt beginnt Aufnahme des fremden Neuen: Klima (angenehm!), Gerüche, Geräusche, Häuserwelt, Menschen (zurückhaltend- freundlich), Fahrweise auf dem Zubringer nach Amman – und erste Gespräche inklusive arabischer Wörter (bisher waren alle Driver unglaublich redselig).

Jordanien nennt man übrigens wohl inzwischen die Schweiz des Mittleren Ostens – und das spiegelt die Hauptstadt auch wieder: Die Metropole mit mehreren Millionen Einwohnern zeigt viele neue Gebäude, viel Glanz, viele Banken, Geschäfte, viel Verkehr.

Ankunft im Guesthouse der Organisation ohne Probleme, ein Security-Check-Up oder spezielles An-/Abmelden ist hier nicht nötig, es gibt auch keine Ausgangssperre. Absolut friedlich.

Zufällig kam noch eine zweite Deutsche (Anästhesistin) in der gleichen Nacht an, insgesamt sind momentan einige aus unserem Lande im Projekt, aber gestern Morgen im Office der Organisation  begann wieder die unheimlich vielfältige Internationalität. Neben den (zahlenmäßig immer überlegenen) nationalen Mitarbeitern (die, um zur Verwirrung beizutragen, gerne oft Ahmed, Mohammed oder bei den Frauen Rula und ähnlich heißen), hab ich seit vorgestern knapp 20 internationale „Expats“ (Expatriats – so der Begriff für die internationalen Mitarbeiter) aus mehr als 15 Ländern kennen gelernt. Außer, dass es einfach viel zu viele sind, ist das irgendwie richtig klasse…

In der Hauptstadt gab es also von unserer Ärzteorganisation das große „Briefing“ – Informationen zur politischen und humanitären Lage, zu den Sicherheitsbestimmungen, dem Projekt selber, zu den Finanzen, zur Gesundheit, zu technischen Details, zur Kultur, zur Logistik. Gehirn-Bombardement pur, aber natürlich notwendig.

Damit ich ja nicht unflexibel werde, wurde dann auch noch der ursprüngliche Plan kurz umgeschmissen und es ging doch direkt für mich und die Ärztin noch im Sonnenuntergang und dann Mondschein zum Projekt nach Ar-Ramtha im Norden des Landes. Vorbeiziehende meist trockene, waldarme und hügelige Landschaften, viel Besiedelung, immer wieder große Moscheen. Viel Polizeipräsenz an der Straße, jedoch nicht etwa wegen Kriminalität oder den benachbarten Kriegsschauplätzen, sondern wirklich wegen Verkehrskontrollen – es gibt wegen überhöhter Geschwindigkeit auf für uns wohl recht ungeregelt anmutenden 2- bis 4-spurigen Straßen wohl sehr viele Unfälle.

Das Projekt in Ramtha ist richtig groß, dementsprechend auch die Anzahl der Internationalen und das zugehörige Guesthouse. Dort fehlt es an wenig bis nichts: Mehrere Zimmer teilweise mit geteilten Badezimmern, große Küche (es wird gekocht für uns, außer am Freitag – das ist ja jetzt „unser“ Sonntag hier – da kocht das Team selbst und macht den Abwasch), Veranda, zwei zugelaufene Katzen (eine davon schon mein bester Freund für den Abend). Neues Kennenlernen, Hausordnung verstehen, professionelle Rollen einsortieren, neue Inputs verarbeiten. In solchen Projekten gibt es immer ein kontinuierliches Kommen und Gehen, es gibt also immer ein paar alte Hasen und immer „Frischfleisch“.

Ramtha liegt nur 5km von der (seit langem nicht mehr offiziell geöffneten) Grenze zu Syrien entfernt. Und nicht selten sieht und hört man wohl vom Haus aus auf den Anhöhen die Bomben einschlagen. Was an sich schon sicher schauerlich ist – und zumeist für die Mitarbeiter im Krankenhaus in den Folgetagen viel Arbeit bedeutet. Aber gestern war es ruhig (wie in den letzten Tagen häufig)  – und so kann man sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie nah man an dem Ganzen ist. Zumal die Jordanier selbst (und die vielen hunderttausend Flüchtlinge in dieser Gegend) erstmal unheimlich ruhig damit umgehen. Das Leben geht weiter.

Heute dann mein erster Tag im Krankenhaus – meine Ärzteorganisation darf mit jordanischem Einverständnis Teilbereiche davon benutzen, insgesamt sind es 2 OP-Theater, ein kleiner Teil der Intensivstation und zwei Stationen mit insgesamt 40 Betten (oft wieder als Sammelräume genutzt). Ganz anders als bei meinem Einsatz in Papua-Neuguinea herrscht hier sowohl vom Ausbildungslevel der lokalen Ärzte, Schwestern und anderen Mitarbeitern, als auch vom Equipment und den Möglichkeiten ein ziemlich hohes Niveau. So sind auch meine „Schützlinge“ der nächsten Wochen gut trainierte jordanische Physios, was meine Aufgabe für mich noch anspruchsvoller macht. Auch hier überall großes Hallo und freundliches Willkommen – Namen, Plätze, Strukturen und Funktionen möglichst schnell verstehen, um bald mit einsteigen zu können. Erste Kontaktaufnahme zu Patienten, fast ausschließlich Kriegsverletzte, und Erstgespräch mit meinen Kollegen.

Doch nur ein kurzer Überblick für heute, denn nomadenartig ging es für mich gleich nochmal weiter ins Guesthouse zu meinem zweiten Projektort, das Zaatari-Flüchtlingslager. Dies werde ich morgen sehen und die Klinik und die Physios dort besuchen. Gewohnt wird in der nahe gelegenen Stadt Mafraq – ein kleineres Team hier, auch wieder sehr nette Leute, aber auch wieder neue Namen, neue Zuordnung, neues Zimmer. Und morgen neue Aufgaben.

Scheint, ich werde dieses Mal ein „Springer“ sein und halbwöchentlich zwischen den zwei Standorten pendeln.

Das ein kleiner Teil der allerersten Eindrücke. Es werden auf alle Fälle intensive acht kommende Wochen. Ergebnis noch offen – noch nicht sicher, ob ich den hohen Erwartungen gerecht werden kann.. Aber auf jeden Fall werde ich viele Erfahrungen machen, viele sehr unterschiedliche Menschen kennen lernen, viel lernen, inklusive ein bisschen arabisch.

Trotz des Kriegskontexts ist diese Mission ungewöhnlich friedlich und nur mit wenigen Security-Vorgaben belegt. Wir brauchen noch nicht einmal Guards vor unseren Häusern, dürfen uns tagsüber frei bewegen, dürfen an den freien Tagen auch Ausflüge machen.

Dass der Krieg (und wenn er auch „nur“ im Nachbarland ist) natürlich jederzeit eine andere Wendung nehmen und es ab und an auch ungewollte „Kollateralschäden“ geben kann, ist allen bewusst, und es wird, so gut es geht, darauf eingegangen. Wir sind aber mit Sicherheit kein deklariertes Ziel und Jordanien hält sich politisch aus kriegerischen Auseinandersetzungen heraus.

Hilfsprojekt in Jordanien: Leben und Arbeiten an der syrischen Grenze

Hallo aus Ramtha!

Ich sitze bei wie bisher fast ausschließlich klar blauem Himmel und ordentlich hohen Temperaturen (schon morgens um 10 Uhr) auf dem Dach unseres Expathauses in Ar Ramtha, einem meiner zwei Standorte für die nächsten Wochen.

Heute ist Freitag, hier also der wöchentliche Feiertag für die Muslime, an diesen Rhythmus schließen wir uns natürlich an, weil ja der Großteil unserer Mitarbeiter Einheimische sind.

Nur unsere Ärzte gehen trotzdem oft kurz mal im Krankenhaus vorbei um nach kritischen Patienten zu schauen, oder natürlich, wenn es Notfälle gibt.

Momentan ist aber alles (wohl verglichen zu den letzten Wochen), recht ruhig, obwohl ich vor zwei Tagen abends zum ersten Mal (und gerade leider auch) miterlebt habe, wie sich Bombendetonationen aus der Ferne anhören. „Ferne“ ist relativ, denn die syrische Grenze liegt nur wenige Kilometer in Sichtweite entfernt. Trotzdem war der „Donner“ auch hier etwas unwirklich und das ganze Szenario, was sich dort abspielen muss, ist nicht wirklich greifbar. Sicherheit ist hier im Grunde genommen trotzdem gegeben, auch wenn es vor wenigen Wochen mal „aus-Versehen-Querschläger“ gab, die auch hier in Ramtha gelandet sind.

Und so geht auch hier tagtäglich das ganz normale Leben seinen Lauf; Menschen gehen zur Arbeit, bauen ihre Häuser, Kinder gehen zur Schule, Paare heiraten (und das nicht selten, und oft mit Feuerwerk, wo ich als Neuling kurz „zusammenzucke“ und man im Kopf auch ganz schnell Schusswechsel assoziiert). Nur hat sich eben der Ort hier aufgrund der Flüchtlinge der letzten Jahre, eben mal kurz verdoppelt, was die Einwohnerzahl angeht. Auch unser Leben hier ist wirklich (im Normalfall) sehr geregelt und ruhig, wir haben sogar, anders als in vielen anderen Projekten, keine Guards in der Nacht, brauchen unsere Türen nicht abzuschließen, dürfen uns tagsüber frei bewegen.

Die Menschen akzeptieren uns sehr wohlwollend, weil wir Jordanien einen kleinen Teil der Riesenlast, die durch die Masse an Flüchtlingen aufkommt, abnehmen. Die lokalen Mitarbeiter sind unglaublich freundlich und man wird ständig auch während des Tages zu kleinen Snacks, Tee und Kaffee eingeladen, tauscht Kultur- und Sprachunterschiede aus. Ein schönes Arbeitsklima. Und das gilt natürlich auch für die internationalen Mitarbeiter – an den Abenden sitzen oft Menschen von 5-6 Nationen an einem Tisch und tauschen sich aus, und trotzdem ziehen alle am gleichen Strang. Unser Team ist momentan etwas „deutschlastig“, eine Ärzten, der Leiter der Pflege, ein österreichischer Logistiker und ich sind eine recht massive Anzahl.

Wir versuchen uns natürlich den Gegebenheiten hier anzupassen, ohne dabei komplett unsere Vertrauens-Zone, in der wir gut arbeiten und leben können, zu verlassen. Da aber Jordanien (etwas unterschiedlich je nach Region) ziemlich offen ist, heißt das nur, dass man lange Hosen oder Röcke trägt und auf bedeckte Schultern (in manchen Gegenden auch komplett bedeckte Arme) achtet. Kopftuch oder ähnliches ist keine Pflicht. Alkohol ist eigentlich für die Muslime (zumindest in der Öffentlichkeit) tabu, bei uns im Compound gibt es „unter der Hand“ immer auch die Möglichkeit was zu trinken, nur sollen wir das eben nicht übertreiben und nicht öffentlich machen. Geraucht wird dafür wie aus Schloten, immer und überall. Das gehört richtig zum Leben dazu – sogar manchmal auch im Krankenhaus. Ich werde trotzdem nicht anfangen.

Im Normalfall gibt es eine sehr klare Trennung zwischen der Frauen- und Männerrolle, das fängt auch schon im Kindesalter an, man sieht nur (oft sehr laute und „rabaukenartige“) Jungs auf den Straßen spielen, die Mädels sind mehr unter sich und in den Häusern. Und das zieht sich durch das Leben, oft wird getrennt gegessen, es gibt natürlich verschiedene Stationen für Männer und Frauen und insgesamt ist der Alltag männerdominant. Jedoch werden sehr wohl weibliche Ärzte und andere Professionen akzeptiert (ich glaube auch immer mehr), und man merkt schon, dass einige Frauen sich als sehr starke Persönlichkeiten gut behaupten können. Was uns angeht, müssen wir uns auf der professionellen Schiene gar nicht bis kaum zurücknehmen, weibliche Vorgesetzte sind kein Thema – es wird also eher zuerst die Rolle, dann erst das Geschlecht gesehen.

Was machen wir hier?

Obwohl die Grenze zu Syrien hier offiziell geschlossen ist, dürfen nach einer Vereinbarung mit Jordanien syrische Schwerverletzte hier in der Nähe einreisen. Aber nur dann, andernfalls wird bei illegalen Versuchen auch geschossen – wir hatten zwei Patienten aus so einem Zusammenstoß vorgestern. Die Verletzungen sind meist so schwer, meist von Bombenangriffen, dass die wenigen syrischen Krankenhäuser mit den Fällen nicht zurechtkommen: das heißt multiple Knochenbrüche, Arterienverletzungen, zerfetzte Gliedmaße, Hirnverletzungen. Die meisten Patienten sind Männer, nur wenige Frauen und Kinder, aber auch davon haben wir welche (was besonders betroffen macht). Die werden dann hier im öffentlichen Krankenhaus in einer speziellen Unit unserer Ärzteorganisation oft mehrfach operiert (das kann dann manchmal auch stoßartig kommen, das heißt Oberstress für die OP-Teams) und auch mit dem Nötigsten versorgt (Kleidung, Nahrung, wichtigste Grundausstattung).

Aufgrund der hohen Anzahl an Jordaniern hier findet sich meist immer auch jemand aus der entfernten Verwandtschaft, der hier schon vor Ort ist und auf den Patienten dann aufpassen kann. Oft liegen die Patienten hier wochenlang, werden dann nach und nach mit Physiotherapie oder Überweisung zu Spezialisten versorgt (Augenärzte, plastische Chirurgie, Prothesenversorgung). Wenn sie dann aus dem gröbsten raus sind und es die politischen Verhältnisse erlauben (hoch kompliziert), können wir sie in unser Krankenhaus im Flüchtlingslager Zaatari überweisen, so dass die Akutbetten frei werden und sie etwas mehr eine Art „normales Leben“ führen können.

Schon unglaublich, was Krieg anrichten kann – und auch unglaublich welcher Lebenswillen in Menschen steckt, und dass ein 7-jähriges Mädchen mit einer bösen Schusswunde, die fast verblutet wäre, mich dann nachmittags nach der OP doch auch schon wieder anlächeln kann. Habe schon einiges gesehen in den ersten Tagen, was man professionell so hinnimmt, was aber doch auch emotionale Wellen auslöst.

Ich habe jetzt also richtig mit meinen Aufgaben als „Physio-Coach“ angefangen, beide Standorte schon mal besichtigt (an den Flüchtlingslager-Standort werde ich morgen wieder für ein paar Tage wechseln) und kräftig Eindrücke gesammelt. Ich bin an beiden Orten für je zwei Physiotherapeuten zuständig (3 Männer, 1 Frau), die alle schon länger für unsere Ärzteorganisation arbeiten und sehr gut ausgebildet sind (zum Teil mit Master-Degree).

Bisher hatte sich noch niemand von außen so richtig um die Physiotherapie gekümmert. Zwar wird sie von allen Seiten hoch geschätzt, und die Physios machen das auch echt gut, aber meine Aufgabe wird nun sein, auch mit „Fachaugen“ mal auf alles zu schauen, Strukturen zu organisieren, den Rahmen für die Physiotherapie etwas zu sortieren (gestern eine „Blitzinventur, ganz schönes Chaos!!) und vielleicht effektiver zu machen, Auswertungszahlen zu generieren, Fortbildungen zu geben, Verbindungen zu anderen Organisationen wie z. B. Handicap International zu vertiefen oder neu herzustellen. Meine Arbeit beinhaltet aber auch – und das ist schön, dass dieser Anteil doch so hoch ist bisher – individuelles Coaching und Training mit den Physios an den Patienten zu machen. Bin also immer bei den Morgenrunden dabei, sehe, welche Patienten hauptsächlich da sind, bin im Hintergrund für meine Kollegen da, wenn sie weitere Fragen haben.

Es muss sich alles noch etwas strukturieren, ich hatte auch unheimlich viele Briefings mit verschiedenen Bereichen (Logistiker für Material, orthopädischer Chirurg wegen medizinischer Abstimmung etc.) – ziemlich komplex und manchmal schwer zu filtern, wer was wissen muss oder wozu zuständig ist. Und da es eben bei mir, anders als bei den meisten Berufsgruppen, keine wirklichen Standards gibt, muss viel auch neu ausbaldowert werden.

Hilfsprojekt in Jordanien: Thema Flüchtlinge

Wahrscheinlich ist das Thema „Flüchtlinge“ in Deutschland und Europa derzeit ein größeres Thema als hier. Aber da ich nun mal die Gelegenheit habe, live und in Farbe inmitten eines der größten Flüchtlingslager der Welt zu arbeiten, bietet es sich ja geradezu an, hiervon mal einen kleinen Eindruck zu vermitteln. Wobei dort zu arbeiten und außerhalb zu wohnen sicherlich in keinster Weise vergleichbar ist mit dort zu leben.

Ein paar nackte Fakten, um dem Ganzen einen Rahmen zu geben:

Zaatari liegt ca. 6 km südlich von der syrisch-jordanischen Grenze, so ziemlich im Nichts, das heißt in wüstenähnlicher Umgebung, in der Nähe von Mafraq, einem kleinen, aber derzeit auch wachsenden Städtchen, wo wir unsere Wohnung haben. 2012 suchten dort die ersten Flüchtlinge des syrischen Krieges Zuflucht, mit Zelten, ungeordnet, bereit, ein paar Wochen zu bleiben, in der Hoffnung, dass sie bald wieder zurück könnten. Seitdem geht der Krieg ohne Pause weiter – und seitdem ist dieses Lager auf die unglaubliche Zahl von ca. 80.000 Flüchtlingen gewachsen – die viertgrößte „Stadt“ in Jordanien. Zwischenzeitlich gab es sogar Zahlen von über 120.000 Bewohnern.

Inzwischen kann man wirklich von einer Stadt reden, die allerdings eingezäunt ist, das heißt, die Flüchtlinge dort dürfen sich nicht frei in Jordanien bewegen, sondern bekommen auf Antrag eine kurzfristige Erlaubnis, woanders hinzugehen (z.B. Verwandte zu besuchen etc.). Die wenigsten erhalten ein legales Visum, das heißt die meisten der Menschen dort sind auf „Duldungsbasis“ hier. Großes Politikum und oft nicht zu verstehen, was vor sich geht. Jedenfalls sind die Tore bewacht von jordanischer Polizei, und jeder, der ein und ausgeht, wird kontrolliert.

Das Flüchtlingscamp Zataari – eine Stadt für sich und eine riesige organisatorische Aufgabe

Die Leitung dieser unfassbaren logistischen Aufgabe hat das Uno-Flüchtlingswerk (UNHCR). Vor Ort vertreten und aktiv sind zudem eine Vielzahl von anderen großen und kleinen NGOs und Organisationen, angefangen von UNICEF und Oxfam über Handicap International bis hin zur KFW und zum technische Hilfswerk. Straßenbau, Versorgung mit Wasser und Elektrizität, Gesundheitsversorgung und Sicherstellung von Nahrung, Dach über dem Kopf, Bildung und Sicherheit – alles muss bedacht und koordiniert werden.

Inzwischen unterteilt ein Straßennetz das ca. 18 qkm große Areal in unterschiedliche Viertel. Anfangs gab es nur Zeltunterkünfte, jetzt werden die Menschen mehr und mehr mit Containern versorgt – es ist hier im Sommer extrem heiß (Spiegelei in der Pfanne auf dem Boden ohne Feuer möglich), im Winter kann es Schnee geben. In den letzten Tagen war es unglaublich dusty, die Luft voll von Sand; die Hitze stand. Zum Glück gab es keinen richtigen Sandsturm wie vor ein paar Wochen, aber anstrengend ist es allemal, unter diesen Bedingungen zu leben. Damit meine ich nicht mich (oder nur ein bisschen), die wieder die Wahl hat zu gehen, sich abends im Expathaus duschen kann und nicht wegen einem Krieg alles hinter sich lassen musste.

Die Kosten des Camps belaufen sich pro Tag laut UNHCR auf ca. 500.000 USD. Inzwischen gibt es mehrere Krankenhäuser (gesponsert und unterhalten von verschiedenen Ländern), 8 Schulen, einen Fußballplatz, Spielplätze, ca. 80 Moscheen und mehrere hundert kleine Läden und Restaurants. Letztere sind „von selbst“ entstanden, eingeschleuste und mitgebrachte Dinge, die meist von Eselswagen oder per Menschenhand transportiert werden, denn Autos sind bis auf registrierte Warentransporte von außen und die Transporter der involvierten Organisationen nicht erlaubt, werden verändert, verkauft, getauscht – und plötzlich entsteht Handel. Das ganze hat eine unglaubliche Eigendynamik, zwischenzeitlich gab es über 3000 kleine Geschäfte, vom Kebab-Grill bis zum Brautkleid-Laden, alles eigentlich „illegal“, also niemals richtig registriert. Die Haupt-Geschäftsstraße heißt tatsächlich „Champs-Elysees“.

Ein Paradebeispiel von menschlichem Überlebenswillen, von Anpassung, von Neuanfang. Aber unter extrem schwierigen und eigentlich nicht nachhaltigen Bedingungen, denn es ist und bleibt ein Flüchtlingslager.

Aber, man traut seinen Augen und Ohren kaum: Es wird gespielt, gelebt, geheiratet, die Geburtenrate liegt etwa bei 80/ Woche.

Die Container sind in einem „safe place“ für Kinder untergebracht (das wird z.B. von Oxfam und International Medical Corps angeboten), dort können Jugendliche nach der spärlichen normalen Schule unter anderen lernen, wie man mit Computern umgeht, künstlerisch tätig werden, lesen, sportlichen Aktivitäten nachgehen etc. Um diese Plätze auch augenscheinlich attraktiv zu gestalten, werden immer mal wieder Künstler engagiert, die dann z.T. mit den Kindern Container anmalen und gestalten.

Die Menschen leben von einem monatlichen Grundgeld von 20 Jordanischen Dinar (ca. 25 Euro) – und immer mehr auch von (wiederum halblegalen) Jobs in den Organisationen im Camp.

Von außen wachsen wird das Lager vorerst nicht – Jordanien versucht, weitere Flüchtlinge in ein anderes Lager in Azraq zu schicken, das extra gebaut wurde und bis zu 130.000 Menschen aufnehmen kann. Problem nur, dass das noch mehr in der Wüste liegt, fernab von allem, was ein wenig mit Stadt und Leben zu tun hat. Die Versorgung mit Elektrizität ist nicht sonderlich gut und die Lebenskosten dort sind hoch, so haben bisher nur ca. 18.500 Menschen Platz finden wollen. Generell möchten die meisten Menschen gern direkt in den Städten Irbid, Ramtha oder Mafraq oder Leben aufbauen, aber das gelingt eben nur den registrierten Flüchtlingen, was ein schwieriges Unterfangen ist.

Nicht wenige möchten sogar trotz der Bombardements zurück nach Syrien, haben sie doch oft einen Teil der Familie zurücklassen müssen. In den letzten Tagen könnte man auch meinen, eine vermehrte Abwanderung in andere Länder (nach Europa?) zu spüren, aber das müssen Zahlen noch belegen. Die Entwicklung in Europa bleibt hier natürlich jedoch nicht unbemerkt. Für viele vielleicht eine Alternative zum staubigen Leben ohne richtige Zukunft hier.

Die Flüchtlingspolitik in Jordanien ist sehr komplex und man kann auch sehr gut (im Angesicht solcher Zahlen – Flüchtlinge aus Irak und dem Jemen noch nicht mitgerechnet, insgesamt spricht man unter der Hand von deutlich über einer Million) die Ängste der Jordanier verstehen. Zumal der größte Teil der Bevölkerung des Landes durch die letzte große Flüchtlingswelle im Palästina-Konflikt sowieso aus ehemals palästinensischen Flüchtlingen besteht – was sich allerdings wohl gut vermischt hat.

Einerseits geht die Angst um (wie in unseren Ländern auch), dass Arbeitsplätze knapp werden, dass eine Invasion geschieht, dass das viel Geld kostet etc. Andererseits hat Jordanien auch schon profitiert – viele der Mehrkosten werden von der UN und anderen Organisationen getragen – und das Wirtschaftswachstum in eigentlich öden Gegenden ist sehr wohl merk- und messbar.

Wie immer hat also alles zwei Seiten, für uns allerdings auch ein sensibles Thema, denn wir helfen (oft parallel und in direktem Umfeld von Jordaniern) doch immer nur den Syrern hier, das ist unsere Zielgruppe. Klar, dass da Neid und oft auch Unverständnis aufkommt – „warum bekommen DIE kostenlose Hilfe und Extra-Aufmerksamkeit und wir nicht“??? Ein heikles Thema, bei dem die Stimmung auch manchmal schnell umschlagen kann, zum Beispiel, wenn es eine sogenannte „Mass-casualty“-Situation im Krankenhaus gibt, bei dem sich Emotionen überschlagen.

Im Zaatari-Camp, sozusagen eingemietet auf sicherem Grund, kümmern wir uns nicht direkt um die Gesundheit der Flüchtlinge, die hier leben. Vielmehr sind wir im  „Entlastungskrankenhaus“ von unserem Akuthaus in Ramtha. Das heißt, wir sind zuständig für die mehrfach Operierten und Schwerverletzten, die dann irgendwann keine Interventionen mehr brauchen, sondern z. B. „nur“ Zeit für komplexe Knochenheilung, Medikamentengabe und Pflege. Solche Patienten werden, so es die Sicherheits- und humanitäre Lage zulässt nach Zaatari verlegt. Und auch hier bekommen sie dann (zum Glück ein wichtiger und auch als wichtig gesehener Punkt) dann auch viel Physiotherapie. Die Klinik  und alle zugehörigen Teile (Office, Apotheke, Lager, Toiletten und Duschen) bestehen aus Containern, wir als Mitarbeiter von außen werden jeden Morgen ins Lager gebracht und abends (vor Dunkelheit) wieder abgeholt. Wir haben mehrere Autos, um z. B. Patiententransporte zu organisieren.

Wie in Ramtha kümmern sich zwei jordanische Physios um bis zu 40 Patienten – und für die vier bin ich jetzt eben in meiner Zeit hier Ansprechpartner Nr. 1. Ein tolles Team, 3 Männer, eine Frau – gestern wurde ich von den Jungs (Rula – die weibliche Physio- war leider nicht dabei) in sehr netter Runde eingeladen, lecker, großartig und sehr spaßig!

So, das war viel, für manche sicher viel zu viel… Eigentlich auch für mich. Aber mir geht es bestens, ich sehe viele Aufgaben (sicher nicht alle lösbar), die ersten Dokumente (Befundaufnahme, Dokumentation, Datensammlung) sind entworfen und in Umlauf, individuelle Trainings im Gange. Zwei Wochen sind wie im Flug vergangen, ich befürchte, das wird nicht besser! Die Sicherheitslage ist ruhig, aber das ist in solchen Gebieten keine Dauergarantie.

Schön, wie sich die Stimmung in Europa zu ändern scheint, mal wieder scheint doch auch der Druck der Menschen auf die Politik zu funktionieren. Kann von hier aus nur sagen, dass viele Menschen sich über die Willkommensbilder in Deutschland und anderswo sehr positiv geäußert haben. Ich hoffe, diese Offenheit hält an, auch wenn die ersten Probleme kommen werden (und die kommen!!), wenn die Verklärtheit abnimmt und man merkt, dass es Hürden zu überwinden gibt, dass nicht jeder alles freundlich annehmen wird, dass sie Menschen anders sind, oft dazu noch hoch traumatisiert. Aber eine Chance hat jeder verdient, und wer Schutz sucht, sollte auch Schutz finden und freundliche Aufnahme bekommen. Und die Schicksale, die unsere Patienten hier durchgemacht haben, sind zum Teil unfassbar traurig. Und dabei die Betroffenen sind wahnsinnig tapfer!

Hilfsprojekt in Jordanien: Zwischen Freud und Leid

Zwischen Freud und Leid liegt manchmal nur ein Wimpernschlag. Das durfte wohl heut auch unser Wirtschaftsminister Gabriel gedacht haben, der sichtlich betroffen einen Besuch in „unserem“ Flüchtlingslager Zaatari erlebt hat. Gesehen habe ich ihn nicht persönlich (genauso wenig wie letzte Woche David Cameron), aber wir mussten wegen des VIP-Besuches ein anderes Tor morgens zum Betreten des Camps nutzen.

Ich wundere mich immer wieder, wie „positiv“ sich die Welt hier so nahe am Abgrund von Unmenschlichkeit anfühlen kann: Das ist sicherlich menschliche Überlebensstrategie, dass man trotz eines Krieges, der quasi nebenan tobt und Opfer fordert, dennoch lacht und scherzt, ein nahezu normales Leben führt, versucht, das Schreckliche nicht unbedingt auszublenden, aber doch zu überlagern.

Das gilt ganz besonders für unsere Patienten und diejenigen, die gerade mit Mühe und Not und mit vielen Opfern dem Kriegsgeschehen entkommen sind: Unfassbar, dass sie da liegen in den Betten, mit doppelt amputierten Beinen, gerade eine schwere OP wegen zerfetzter Eingeweide hinter sich, mit mehrfachen Knochenbrüchen und Fleischwunden an Armen und / oder Beinen, Bombensplitter zieren das Gesicht. Mit Sicherheit Angst und Wut und Hass innen drin, viele Fragen, die Familien in Syrien, vielleicht auch mit Glück zum Teil hier oder schon weit weg in Europa – keine Ahnung, wie die Zukunft wird, betreut in einem fremden Land, in den Händen vieler fremder Leute, teilweise konfrontiert mit fremder Sprache und der entsprechenden Kultur.

Und dann kann ein freundliches Hallo, ein aufmunterndes Lächeln, ein kleiner Scherz, ermutigende Worte und das Gefühl, dass man sich kümmert, eine medizinische Versorgung, etwas zu essen und ein sicherer Raum ein Lachen auf diese Gesichter legen, einen Funken Hoffnung, ein bisschen Zuversicht. Wenn die kleine Fatima mit der durchschossenen Schulter, die mit ganz viel Glück nicht verblutet ist und „nur“ mit einem gelähmten Arm (der vielleicht wieder wird) zu tun hat, einen mit der gesunden Seite bei der Hand nimmt, munter auf einen einplappert, eine geknetete Rose schenkt und einem ein Bussi auf die Wange drückt…

Dann geht es auch mir nahe eines Kriegsgebietes gut, dann sehen die Verletzungen gar nicht so schlimm aus, dann wird man kurzfristig nicht übermannt von Fragen wie „Warum das alles?“ und „Wann hört das auf“? Dann erscheint tatsächlich auch hier der Himmel schön blau, man freut sich über die kleinen Dinge des Lebens, man kann scherzen und singen und lachen. In Zaatari ist es Teil des „Mental Health Programmes“, dass die Mitarbeiter in die Stationen gehen und mit den Patienten tanzen und singen – ein wunderschönes Bild, halb zum Lachen und halb zum Weinen.

Wenn man in einem solchen Projekt arbeitet, dann macht man in kleinen Nuancen die Stimmungsschwankungen mit, mit denen sich die Betroffenen in viel größerem Ausmaß auseinandersetzen müssen.

Und manchmal reicht dann auch ein klitzekleiner Anlass, eine Stimmungslage, ein Kommentar, ein kleines Aufblitzen dessen, was der Krieg mit Menschen macht, um sich auch auf der anderen emotionalen Seite zu befinden. Plötzlich wird einem bewusst, wie wenig man weiß über das, was die Menschen durchgemacht haben, wie fremd man deren Kultur ist, wie „eindringlich“ man selbst als „Helfer“ hier ist. Man stellt sich Fragen, wie viel Angst und Hass wohl hinter den Gesichtern steckt, wie wohl die Zukunft dieser Menschen aussieht, auch, wie viel von dieser Freundlichkeit von Patienten und Mitarbeitern ganz natürlicher Weise „zweckgebunden“ ist, wie weit man überhaupt hier einfach kommen und beeinflussen darf, wie viel „Schuld“ man selbst an den Ursachen hier hat etc.  Gedankenkreisel gehen dann los…

Und dann tut es sehr gut, dass man Menschen im Team und Zuhause hat, die Gedanken mit einem teilen können, die einen balancieren, die dann wieder dazu führen, dass man Kraft hat, auch den nächsten Tag positiv zu beginnen, sich wieder an der Sonne zu freuen (viele hier finden die Hitze und die Sonne natürlich nicht schön, ich blöde Sonnenhungrige natürlich schon!) und wieder Scherze zu machen.

Und das ist eine der ganz besonders intensiven Erfahrungen für mich in einem solchen Projekt – die Nähe von Freud und Leid im Leben, das Akzeptieren, dass es beides gibt. Und dann sitzen wir, wie neulich – als gemeinsames Team aus Nationals und Internationalen im Bus auf der Rückfahrt aus dem Flüchtlingslager nach Hause, jemand dreht die Musik auf, und plötzlich singen, tanzen und lachen alle gemeinsam, so wie ich das Zuhause wahrscheinlich nur ganz selten machen würde, bis unser Bus fast ins schwanken gerät. Von außen gesehen vielleicht total unverständlich und für den ein oder anderen total unpassend – für uns aber unbezahlbar und unvergesslich.

Meine Arbeit geht voran, ich mache meinen Spagat zwischen Patientenbetreuung, Physio-Coaching, Vorbereitung und Durchführung von Trainings, meine erstellten Dokumente sind (mal mehr, mal weniger geliebt) im Umlauf. Schwieriger gestaltet sich die von mir erfragte Einschätzung zu benötigten Anschaffungen und Materialien, ich musste nun schon nach nur 2-3 Wochen entscheidende Informationen zur Budgetierung für das nächste Jahr liefern, nicht gerade leicht. Parallel läuft noch das Verstehen und Ausbauen des Netzwerkes mit anderen NGOs, ein Beispiel die Zusammenarbeit mit Handicap International, die quasi als „Zulieferer“ für Gehhilfen, Prothesen und Orthesen dienen. Hier gilt es, die Zusammenarbeit zu optimieren und möglichst optimal für die Versorgung der Patienten zu sorgen. Da muss man dann oft administrative Strukturen und auch politische Entscheidungen verstehen und mitbeachten. Sehr viel Spannendes, ganz viel für mich zum Lernen und weiterentwickeln. Und immer wieder das schöne Gefühl, dass man trotz der Hürden, Querelen und Kompromisse am gleichen Strang zieht.

Ab morgen beginnt der „Eid“, einer der größten religiösen Feiertage (genau genommen 5), vergleichbar wohl fast mit unserem Weihnachten. Oft werden zum Festmahl in den Familien Kamele (ca. 2000 Euro) oder Schafe (etwa 200 Euro) geschlachtet und zubereitet, Kinder bekommen Geschenke. Im Flüchtlingslager hat das Team Geld gesammelt und alle Kinder haben neue Kleidung bekommen, auch hier wird an einem der Tage aus einem Extra-Fond ein Festmahl zubereitet.

Unser National Staff hat natürlich auch Anspruch auf Urlaub, so dass die Büros eher nur von uns Internationalen besetzt sind, die Kliniken arbeiten in Schichten, aber eben auch nicht voll besetzt. Manche Patienten haben „Leave“ beantragt, um ihre Verwandten zu besuchen. Wenn die Sicherheitslage das zulässt und die Polizei die Erlaubnis gibt (auch das muss unsere Organisation dann übrigens immer klären), dann dürfen sie Krankenhaus oder Lager verlassen.

Mir gibt das Gelegenheit, endlich auch einmal jenseits meiner Einsatzorte etwas von Jordanien zu sehen, ich werde einen halben Tag frei nehmen am Samstag und einer Einladung eines einheimischen Arztes folgen, der in der antiken Ruinenstadt Jerash wohnt. Ich werde mit einem Teil meiner Physios und wohl Freunden aus dem Expat-Team hingehen, freue mich schon sehr.

Die Feiertage könnten Gerüchten zu Folge leider auch bedeuten, dass sich die Kämpfe in Syrien wieder verstärken – dies würde dann vermehrt Opfer und wohl vermehrt Arbeit bedeuten; wir sind darauf eingestellt.

Ich merke, dass ich mich gut eingelebt habe, entdecke jeden Tag mehr Details auf den Wegen zur Arbeit und versuche, immer ein paar Bröckchen mehr arabisch zu erhaschen – die Sprache klingt auch schon lange nicht mehr so „harsch“ wie zu Beginn. Mein Visum ist regelgerecht verlängert (viele Fingerabdrücke zieren jetzt meine offizielle Akte hier im Immigration Office). Hatten seit meiner Ankunft keinen Regen, abends kühlt s nun etwas ab, tagsüber haben wir aber nach wie vor um die 30 Grad. Windhosen häufen sich – ein Zeichen, dass auch hier der Herbst naht. Fühle mich gesund, manchmal ein bisschen k.o., aber alles läuft und ich bin irgendwie „am rechten Ort“.

Ich hoffe, die Ereignisse in Deutschland und Europa behalten trotz aller Schwierigkeiten einen positiven Touch, so zumindest kommt dies aus den Medien hier rüber.

Dieses kleine Video (https://youtu.be/RvOnXh3NN9w) macht gerade seine Runde, erstellt vom UN-Flüchtlingswerk – ich finde es sehr beachtlich, wie man in etwa 6 Minuten die Situation so einleuchtend auf den Punkt bringen kann, es sei sehr ans Herz gelegt… Mit deutschem Untertitel!  „Wir schreiben momentan Geschichte. Doch wie soll man sich an uns erinnern? Als fremdenfeindliche, reiche Feiglinge, die sich hinter Zäunen verstecken? Es gibt nur Verluste, wenn wir diese Krise ignorieren, … wenn wir nicht aus Menschlichkeit und Vernunft handeln.“

Hilfsprojekt in Jordanien: Gemischte Gefühle

Noch mehr gemischte Gefühle! Wie erwartet rast die Zeit – und schon ist die Hälfte meines Einsatzes vorbei. Eigentlich wollte ich nicht unbedingt schon wieder über gemischte Gefühle reden, aber die letzten Tage und besonders auch die Ereignisse heute geben Anlass dazu.

Wir sind alle entsetzt über den Angriff auf das Krankenhaus in Afghanistan, und sind in Gedanken bei den Mitarbeitern von Ärzte ohne Grenzen, die in den letzten Tagen dort bis zum Rande der Erschöpfung unglaubliches geleistet haben, um den Ansturm der Verletzten zu bewältigen. Die nun entweder zu den Todesopfern gehören oder aber miterleben mussten, wie Freunde und Kollegen und Patienten den Bomben zum Opfer gefallen sind. Grausam und unsinnig. Und unerklärlich.

An unserer syrischen Grenze blieben befürchtete vermehrte Angriffswellen über die Feiertage zum Glück aus, in den letzten drei Tagen jedoch kam es zu vermehrten Aufnahmen von Verletzen. Ob dies in Zusammenhang mit den gestarteten russischen Bombardements steht, ist fraglich, jedoch spricht man ja auch hier wieder von den berühmten zivilen „Kollateralschäden“. Ein fürchterliches Wort.

So war gestern Morgen mal wieder einer der schwereren Tage, wir mussten einen erst 23-Jährigen mit einer Vergiftung nach Schussverletzung gehen lassen. Er kam zu spät zu uns und unsere Ärzte konnten ihn trotz bester Bemühungen nicht mehr retten. In einem Zimmer liegen drei Kinder im Alter von 3-10 Jahren – mehrfache Frakturen und zwei mit Hirnverletzungen nach Bombenangriffen – schwer spastisch und mit keiner wirklich guten Lebensprognose.

Das ein paar Beispiele der unschönen Seite. Aber ich ende wie immer lieber fröhlich.

Somit jetzt zu den guten Seiten: Im Krankenhaus sind das die Patienten, denen man dann doch oft die Genesung ansieht, die zum ersten Mal aufstehen können, die nicht mehr an das Sauerstoffgerät gebunden sind, die ihren externen Fixator nach langer Zeit der Knochenheilung endlich loswerden, die Fortschritte im Gehen machen. Zum Glück ist das die Mehrzahl, auch wenn alle Seiten oft sehr viel Geduld mitbringen müssen – was den Heilungsprozess angeht, aber auch, was Konsultationen bei Spezialisten, Verhandlungen mit der Polizei für Transfers, Genehmigung für besondere Medikament etc. angeht. Wie gesagt, sehr komplex.

Nicht umsonst haben wir ja auch so viele Mitarbeiter hier – um solche Projekte zu bewerkstelligen braucht man neben den Hauptakteuren –  den operierenden Ärzten – natürlich auch Logistiker, HR-Beauftragte, das komplette medizinische Personal, die Fahrer, die humanitären Vermittler, die Psychologen und natürlich die Führungskräfte. Und zu meiner großen Freude wird auch die Physiotherapie hier als etwas sehr Wichtiges angesehen.

Für unsere Projektkoordinatorin ist es Zeit, nach einem Jahr jetzt bald zu gehen – und wie üblich gibt es dann ein größeres Send-Off-Fest. Da gleichzeitig noch unser Chirurg ersetzt wird (ein bemerkenswerter Mensch, dem ich höchsten Respekt für seine Arbeit zolle) und wir zwei Geburtstage im Expat-Team zu feiern hatten, wurde der gestrige etwas für mich traurige Morgen von einem wunderbaren Nachmittag und Abend abgelöst: Wir haben ordentlich in unsere privaten Taschen gegriffen und einen kompletten Pool gemietet – in dem dann die Expats ganz ohne Zwang schwimmen konnten. Abends kam dann der National Staff aus dem Krankenhaus dazu, es gab Essen, Trinken und traditionelle Tänze – das können die hier echt gut!! Notiz am Rande: Dieser Pool, unser kleines Paradies, liegt sogar noch näher an der syrischen Grenze, ganze 2 km entfernt davon – und das Ganze wurde auch nur nach ausgiebigster Sicherheits-Prüfung genehmigt, weil „nebenan“ Ruhe herrschte. Schon komisch, wieder diese Mischung aus Paradies und Hölle – so nah beieinander…

Überhaupt kamen wir (neben der Arbeit versteht sich) diese Woche gar nicht richtig aus dem Feiern raus – nach den Feiertagen, an denen traditionell überall Schafe geschlachtet werden – ein teueres (und blutiges) Unterfangen, gab es zusammen mit den Patienten ein Grillfest dank eines ebensolchen Schafes im Zaatari-Krankenhaus. Und am Dienstag gab es die offiziellen Feiern für 2 Jahre Krankenhaus in Ramtha, wo auch einige VIPs aus Amman zugegen waren, wir haben es sogar mit nicht wenigen Bildern bis in die Zeitung hier gebracht. Nach offiziellen Reden gab es das traditionelle „Mansaf“ Gericht (Lammfleisch und Reis), das man mit anderen zusammen, am besten mit der Hand von einem gemeinsamen Teller ist. Verbundenheit – machen wir bei uns viel zu selten.

Ja, und dann war da noch mein wunderschöner Ausflugstag nach Jerash, der sich so gut angefühlt hat wie eine ganze Woche Urlaub: Zwei meiner Kollegen und einer unserer nationalen Ärzte haben mich dorthin entführt, dort geführt und nachher noch ein Barbecue für mich veranstaltet. Diese antike Stätte ist so unfassbar groß und gut erhalten, mehre hundert Säulen von Tempeln und Flaniermeilen stehen noch, ein (von drei) wunderbares Amphitheater. Dazu dieser unglaublich blaue Himmel. Prädikat sehr wertvoll – und schön, dass man so für einen Tag Jordanien auch rein von der gelassenen schönen Seite sehen kann. Meine Gastgeber waren außerdem unheimlich zuvorkommend und spaßig.

Generell ist das hier natürlich schon ganz schön eine „Mens’ world“, in der ich mich ab und zu mal wieder zur Zurückhaltung ermahnen muss. Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht unbedingt als hochgradig zurückhaltend gelte – ich hoffe, dass ich nicht in zu viele Fettnäpfchen trete, wenn es hier um die Gender-Frage geht. Aber anscheinend ist dann trotz all dieser Fragen zum Trotz ein fröhliches Gesicht dann doch der beste Begleiter – und ich bekomme unheimlich schöne Rückmeldungen von beiden Seiten – von den Expats und den Nationals.

Ich befürchte, die folgenden drei Wochen werden schlafärmer und noch arbeitsintensiver – ich will ja ein gutes Stück von mir zurücklassen. Werde schon ein bisschen traurig, wenn ich ans Abreisen denke. Bin gerade richtig drin – und die Menschen hier sind einfach klasse! Und vor allem immer wieder: dass Lachen und Freundlichsein etwas unglaublich Internationales ist.

Und wenn wir Menschen irgendwann mal verstehen, dass es auch ohne Hass und Krieg geht – dann wird auch alles gut!

Hilfsprojekt in Jordanien: Abschied

Unfassbar, aber leider wahr: die Zeit hier ist fast vorbei. Ich bin in meiner letzten Woche und gestern musste meinem ersten Standort, dem Krankenhaus in Zaatari Lebewohl sagen. Und das war ganz schön emotional – denn diese kleine Rehabilitationsinsel fühlt sich wirklich wie ein Familien-Hotel an (mit guten wie auch weniger guten Aspekten, was so was mit sich bringt)… Heißt also, dass jeder jeden kennt und man sehr eng zusammenwächst – und so gab es schon den ein oder anderen Kloß im Hals oder ein Tränchen im Auge, als es ans Verabschieden von Patienten, National Staff und am Abend auch von dem dortigen Expat-Team ging.

Besonders schwer, die Patienten wieder ins Ungewisse gehen zu lassen, viele wollen doch wieder nach Syrien zurück, manche wollen sogar wieder in den Krieg ziehen. Und das ist natürlich ein sehr trauriges Kapitel, aber nur mäßig beeinflussbar, denn was wir hier tun, ist Kriegsverletzten zu helfen, ohne dabei zu richten oder zu bewerten. Und es scheint, dass sie meinen, nicht anders zu können. Und wieder vermischt sich das Bild von plakativ „guten“ und „bösen“ Menschen, und die Linie wird extrem unscharf.

Es sind aber natürlich vor allem viele unbeteiligte Opfer, wie z. B. Kinder, die auf dem Weg zur Schule getroffen wurden. Man kann nur hoffen, dass sie eines Tages wieder ein halbwegs normales Leben führen können, mit oder ohne Behinderung, mit Prothese oder künstlichem Auge.

Für mich war es trotz des Abschieds auch irgendwie ein wunderschöner Tag: Wir hatten noch ein kleines Fest mit den Patienten, gestaltet vom „Mental Health Department“, die mit Musik und kleinen Animationen und Spielen das Positive in den Menschen wecken wollen, damit die Kriegserfahrungen verarbeitet und geglättet werden können.

Und dann gab es eben die vielen kleinen persönlichen Momente und Wünsche, die ich mitnehmen werde: Das kleine Mädchen, das mich nicht gehen lassen wollte, die ältere Dame, die weint und MIR Gottes Segen wünscht (dabei wartet sie seit Monaten darauf, dass ihr Knochenbruch endlich zusammenwächst), der junge Patient mit Amputation, der sich so motiviert an das baldige Ende seiner Reha herangetastet hat und hoffentlich bald mit seiner Prothese laufen kann. Jeder einzelne trägt seine Geschichte. Dazu die Kommentare und guten Wünsche meiner Kollegen und anderer Staff-Mitglieder sowie von meinem lieben Expat-Team in Mafraq, das mich heute Abend noch zum längeren Bleiben „gezwungen“ hat. Meinen Physios habe ich ein paar „Golden Hands“ zum Abschied gestaltet.

Ich bin überwältigt von herzlichen Rückmeldungen, von Freude und Wertschätzung meines Aufenthaltes! Eigentlich wollte ich hier doch etwas geben, aber ich habe so viel bekommen, dass ich unverschämt reich zurückkehren werde!

Insgesamt waren die Patientenzahlen in unseren Krankenhäusern in den letzten Wochen deutlich geringer als zuvor. Das heißt leider nicht automatisch, dass die Auseinandersetzungen weniger werden. Es stecken viele Faktoren dahinter, ob uns ein Patient erreicht oder nicht. Langzeitprognosen für die Projekte und zukünftige Belegzahlen sind daher natürlich sehr schwierig einzuschätzen und müssen immer wieder neu angepasst werden. Die etwas niedrigere Belegung gab mir jedenfalls die Chance, dass ich einige Trainings abhalten und produktive Zeit mit meinen Physios verbringen konnte. All das muss jetzt zum Ende hin auf Papier gebracht werden, in einigen internen und externen Meetings werden noch Fragen geklärt etc. Und am Donnerstag ist dann so genanntes „Debriefing“ in Amman, wo ich für beide Standorte meine finalen Pakete vorzuweisen und zu besprechen habe. Und diese sollen so ausgerichtet sein, dass alles Begonnene und Verfeinerte auch wieder ohne mich oder einen anderen Expat weiterlaufen kann, denn es ist leider erstmal keine Nachfolge für mich geplant. Das ist höhere Politik…

Außer meinen Beschäftigungen und Herausforderungen im und um das Krankenhaus gab es für mich letzte Woche glücklicher Weise noch die Gelegenheit, mit einer netten Truppe nationaler und internationaler Kollegen zum toten Meer zu fahren und dort die Faszination des „Floatens“ und des Schlammbadens zu erleben.

Jordanien hat definitiv einige wunderschöne Ziele zu bieten und ist auf jeden Fall einen weiteren Besuch, zumindest als Tourist, wert! Komisch nur manchmal dann wieder zu wissen, dass am anderen Ufer des toten Meeres, in Israel, gerade wieder die Gewalt mit Palästina eskaliert und viele Konflikte in diesem Teil der Erde einfach nicht zur Ruhe kommen. Nach wie vor verhält sich Jordanien dabei erstaunlich neutral, wenn auch klar eine pro-palästinensische Haltung zu spüren ist.

Wieder Zuhause!

Wohlbehalten, körperlich unversehrt (bis auf etwas Kampf des Immunsystems gegen schnell wechselnde Temperaturen), psychisch stabil. Und emotional, trotz des Kontexts und des Grundes meiner Reise, unglaublich erfüllt – und lediglich traurig, dass ich Abschied nehmen und viele neue Freunde auf unbestimmte Zeit oder auf immer zurücklassen musste…

Die letzten Tage waren erwartungsgemäß sehr anstrengend (alles schriftlich vor Ort lassen, Übergaben an diverse Team-Mitglieder machen, Meetings mit den Chefs und Debriefings in der Hauptstadt) und natürlich auch nochmal sehr emotional (diverse letzte Einladungen, allen Adieu sagen, persönlich oder zumindest schriftlich). Zum Beispiel, als ich einen unserer Patienten, der Dichter und Sänger ist und (obwohl ich die Sprache ja nicht oder nur ganz, ganz wenig verstehe) Steine zum erweichen bringen kann, an meinem letzten Tag im Treppenhaus getroffen habe: Da saß er, mit seinem einen amputierten Bein, das andere ebenfalls nicht brauchbar momentan aufgrund eines schweren Trümmerbruches im Sprunggelenk. Seit Wochen geht es für ihn nicht voran, er hat Angst um seine Familie in Syrien. Und er fängt an zu singen – so schöne, herzergreifende und traurige Lieder, bedeutet mir dabei, dass ich in seinem Herz bleiben werde und wie traurig er ist, dass ich gehe. Zwei Zuhörer sitzen daneben und man sieht ihnen an, was die Texte in ihnen auslösen. Ich wollte tapfer sein, aber ich hab’s nicht geschafft, und musste dann rasch, mit aufsteigenden Tränen in den Augen gehen, um noch Schlimmeres zu vermeiden.

Und dann haben mich tatsächlich am letzten Abend 7 Einheimische noch zum letzten Dinner eingeladen, mich mit unglaublich netten und gedankenreichen Geschenken bedacht.

Und vier davon haben es sich nicht nehmen lassen, mich zum Flughafen zu geleiten. Als Fremder gekommen, als Freund gegangen! Ich kann nur wünschen und hoffen, dass ich diese Gastfreundschaft und Herzlichkeit eines Tages mal zurückgeben kann!!

Bei all meinen schönen Erlebnissen und bereichernden Erfahrungen habe ich natürlich die traurigen Ursachen und Folgen der Krise in Syrien nicht vergessen oder verdrängt. Und ich kann nur mit Kopfschütteln und Schrecken die täglichen Nachrichten verfolgen. Und hoffen, dass wir alle, wenn wir einen kleinen Teil beitragen, etwas daran ändern können.

Mit einem schönen Wunsch, den ich neulich gelesen habe (Autor mir leider unbekannt) verabschiede ich mich, um irgendwann dann hoffentlich erneut „Hallo“ zu sagen!

Always leave people better than you found them.
Hug the hurt.
Kiss the broken.
Befriend the lost.
Love the lonely.

 

Verweise